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-Er kommt von Padua, wo er studiert hat« – so lautete die Formel, mir der ich überall vorgestellt wurde und die mir flugs die schweigende Beobachtung meiner Standes= und Altersgenossen, die Komplimente aller Familienväter und die Liebkosungen aller alten Damen eintrug; es fanden sich auch mehrere Damen, die eigentlich noch nicht alt waren, aber sich in diesem Fall zu den alten rechneten, um mich in allen Ehren küssen zu können. Der Pfarrer von San Samuele, Tosello, teilte mich seiner Kirche zu und stellte mich dem Patriarchen von [[glossary:Venice|Venedig]], Monsignore Correro, vor, der mir die Tonsur schnitt und vier Monade später, aus besonderer Gnade, mir die vier niederen Weihen erteilte. Die freudige Genugtuung meiner Großmutter war ungeheuer. Zunähst wurden nun gute Lehrer für mich gesucht, bei denen ich meine Studien fortsetzen konnte, und Herr Baffo wählte den Abbate Schiavo, um mich reines Italienisch schreiben zu lehren, besonders aber die Sprache der Poesie, für die ich eine ausgesprochene Vorliebe hatte. Ich hatte eine vorzügliche Wohnung mit meinem Bruder Francesco zusammen, den man Theaterarchitektur studieren ließ. Meine Schwester und mein jüngster Bruder wohnten bei der guten Großmutter in dem Hause, das ihr gehörte und in welchem sie sterben wollte, weil ihr Mann darin gestorben war. Das Haus, worin ich wohnte, war das Sterbehaus meines Vaters, für das meine Mutter noch immer die Miete bezahlte; es war groß und sehr gut eingerichtet.+Er kommt von Padua, wo er studiert hat« – so lautete die Formel, mir der ich überall vorgestellt wurde und die mir flugs die schweigende Beobachtung meiner Standes= und Altersgenossen, die Komplimente aller Familienväter und die Liebkosungen aller alten Damen eintrug; es fanden sich auch mehrere Damen, die eigentlich noch nicht alt waren, aber sich in diesem Fall zu den alten rechneten, um mich in allen Ehren küssen zu können. Der Pfarrer von San Samuele, Tosello, teilte mich seiner Kirche zu und stellte mich dem Patriarchen von [[glossary:Venice|Venedig]], Monsignore Correro, vor, der mir die Tonsur schnitt und vier Monade später, aus besonderer Gnade, mir die vier niederen Weihen erteilte. Die freudige Genugtuung meiner Großmutter war ungeheuer. Zunähst wurden nun gute Lehrer für mich gesucht, bei denen ich meine Studien fortsetzen konnte, und Herr [[glossary:Baffo|Baffo]] wählte den Abbate Schiavo, um mich reines Italienisch schreiben zu lehren, besonders aber die Sprache der Poesie, für die ich eine ausgesprochene Vorliebe hatte. Ich hatte eine vorzügliche Wohnung mit meinem Bruder Francesco zusammen, den man Theaterarchitektur studieren ließ. Meine Schwester und mein jüngster Bruder wohnten bei der guten Großmutter in dem Hause, das ihr gehörte und in welchem sie sterben wollte, weil ihr Mann darin gestorben war. Das Haus, worin ich wohnte, war das Sterbehaus meines Vaters, für das meine Mutter noch immer die Miete bezahlte; es war groß und sehr gut eingerichtet.
  
-Den Abbate Grimani sah ich nur sehr selten, obwohl er eigentlich mein Beschützer sein sollte; dagegen gewann ich engen Anschluß an Herrn von Malipiero, dem mich der Pfarrer Tosello vorgestellt hatte. Dies war ein Senator im Alter von siebzig Jahren, der mit den Staatsgeschäften nichts mehr zu tun haben wollte und in seinem Palazzo ein glückliches Leben führte; er aß gut und hatte allabendlich eine auserlesene Gesellschaft von Damen, die alle sich ihre schönen Jahre zunutze gemacht hatten, und von geistreichen Herren, die alles wußten, was in der Stadt geschah. Er war reich und unverheiratet, hatte aber das Unglück, jedes Jahr drei- oder viermal an heftigen Gichtanfällen zu leiden, die ihm bald dieses, bald jenes Glied lähmten, sodaß er am ganzen Leibe verkrüppelt war. Nur sein Kopf, seine Lungen und sein Magen waren von diesen bösen Anfällen verschont geblieben. Er war schön und ein Feinschmecker, der leckere Bissen zu schätzen wußte; er besaß seinen Witz, große Weltkenntnis, die Beredsamkeit des Venetianers und jene Lebensklugheit, die einem Senator unfehlbar verbleiben muß, der sich erst ins Privatleben zurückgezogen hat, nachdem er vierzig Jahre lang seinen Anteil an der Leitung der Staatsgeschäfte gehabt hat; der erst dann aufgehört hat, dem schönen Geschlecht zu huldigen, nachdem er zwanzig Geliebte gehabt hat und nachdem er sich selber eingestehen mußte, daß er keinen Anspruch mehr darauf erheben konnte, einer einzigen zu gefallen. Obwohl er fast gänzlich gelähmt war, sah man ihm doch das nicht an, wenn er saß, wenn er sprach oder wenn er tafelte. Er speiste täglich nur ein einziges Mal und stets allein; denn da er keine Zähne mehr hatte und sehr langsam aß, wollte er sich nicht aus Höflichkeit gegen seine Tischgäste übereilen, andererseits aber wäre es ihm peinlich gewesen, sie seinetwegen warten zu lassen. Dieses Zartgefühl beraubte ihn des Vergnügens, an seiner Tafel angenehme Gäste zu versammeln und mißfiel in hohem Grade seinem ausgezeichneten Koch.+Den Abbate [[glossary:Grimani|Grimani]] sah ich nur sehr selten, obwohl er eigentlich mein Beschützer sein sollte; dagegen gewann ich engen Anschluß an Herrn von Malipiero, dem mich der Pfarrer Tosello vorgestellt hatte. Dies war ein Senator im Alter von siebzig Jahren, der mit den Staatsgeschäften nichts mehr zu tun haben wollte und in seinem Palazzo ein glückliches Leben führte; er aß gut und hatte allabendlich eine auserlesene Gesellschaft von Damen, die alle sich ihre schönen Jahre zunutze gemacht hatten, und von geistreichen Herren, die alles wußten, was in der Stadt geschah. Er war reich und unverheiratet, hatte aber das Unglück, jedes Jahr drei- oder viermal an heftigen Gichtanfällen zu leiden, die ihm bald dieses, bald jenes Glied lähmten, sodaß er am ganzen Leibe verkrüppelt war. Nur sein Kopf, seine Lungen und sein Magen waren von diesen bösen Anfällen verschont geblieben. Er war schön und ein Feinschmecker, der leckere Bissen zu schätzen wußte; er besaß seinen Witz, große Weltkenntnis, die Beredsamkeit des Venetianers und jene Lebensklugheit, die einem Senator unfehlbar verbleiben muß, der sich erst ins Privatleben zurückgezogen hat, nachdem er vierzig Jahre lang seinen Anteil an der Leitung der Staatsgeschäfte gehabt hat; der erst dann aufgehört hat, dem schönen Geschlecht zu huldigen, nachdem er zwanzig Geliebte gehabt hat und nachdem er sich selber eingestehen mußte, daß er keinen Anspruch mehr darauf erheben konnte, einer einzigen zu gefallen. Obwohl er fast gänzlich gelähmt war, sah man ihm doch das nicht an, wenn er saß, wenn er sprach oder wenn er tafelte. Er speiste täglich nur ein einziges Mal und stets allein; denn da er keine Zähne mehr hatte und sehr langsam aß, wollte er sich nicht aus Höflichkeit gegen seine Tischgäste übereilen, andererseits aber wäre es ihm peinlich gewesen, sie seinetwegen warten zu lassen. Dieses Zartgefühl beraubte ihn des Vergnügens, an seiner Tafel angenehme Gäste zu versammeln und mißfiel in hohem Grade seinem ausgezeichneten Koch.
  
 Als der Pfarrer mir die Ehre erwies, mich Seiner Exzellenz vorzustellen, bekämpfte ich sehr lebhaft den Grund, der ihn veranlaßte, stets allein zu essen, indem ich ihm sagte, er brauche ja doch nur Leute einzuladen, die Appetit für zwei hätten. Als der Pfarrer mir die Ehre erwies, mich Seiner Exzellenz vorzustellen, bekämpfte ich sehr lebhaft den Grund, der ihn veranlaßte, stets allein zu essen, indem ich ihm sagte, er brauche ja doch nur Leute einzuladen, die Appetit für zwei hätten.
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 Welche Rachepläne wälzte ich in meinem Herzen, als ich in einem Handspiegel sah, in was für einen Zustand der freche Priester mich versetzt hatte! Auf den Lärm, den ich schlug, lief meine Großmutter herzu, und während mein Bruder lachte, versicherte mir die gute Alte, wenn sie von den Absichten des Pfarrers nur eine Ahnung gehabt, so hätte sie sich wohl gehütet, ihn hereinzulassen. Endlich gelang es ihr, mich ein wenig zu beruhigen, indem sie mir zugab, daß der Priester die Grenzen einer erlaubten Züchtigung überschritten habe. Welche Rachepläne wälzte ich in meinem Herzen, als ich in einem Handspiegel sah, in was für einen Zustand der freche Priester mich versetzt hatte! Auf den Lärm, den ich schlug, lief meine Großmutter herzu, und während mein Bruder lachte, versicherte mir die gute Alte, wenn sie von den Absichten des Pfarrers nur eine Ahnung gehabt, so hätte sie sich wohl gehütet, ihn hereinzulassen. Endlich gelang es ihr, mich ein wenig zu beruhigen, indem sie mir zugab, daß der Priester die Grenzen einer erlaubten Züchtigung überschritten habe.
  
-Entschlossen, mich zu rächen, brütete ich beim Ankleiden über hundert schwarzen Plänen. Mir dünkte, ich hätte das Recht, mich blutig zu rächen, und kein Gesetz könnte mir dafür etwas anhaben. Da die Theater geöffnet waren, ging ich in Maske aus und begab mich zum Advokaten Carrara, den ich im Haufe des Senators kennengelernt hatte. Ich fragte ihn, ob ich den Pfarrer gerichtlich belangen könnte, und er sagte mir, vor kurzer Zeit sei eine ganze Familie zugrunde gerichtet, weil einem Slavonier der Schnurrbart abgeschnitten worden, und ein Bart sei doch viel weniger als eine ganze Kopffrisur. Wenn ich dem Pfarrer einen Prozeß anhängen wollte, bei dem ihm nicht wohl sein würde, so brauchte ich nur zu befehlen. Ich erklärte mich einverstanden und bat ihn, am Abend Herrn von Malipiero zu sagen, warum ich nicht kommen könnte; denn natürlich konnte ich mich nicht eher sehen lassen, als bis meine Haare wieder gewachsen waren.+Entschlossen, mich zu rächen, brütete ich beim Ankleiden über hundert schwarzen Plänen. Mir dünkte, ich hätte das Recht, mich blutig zu rächen, und kein Gesetz könnte mir dafür etwas anhaben. Da die Theater geöffnet waren, ging ich in Maske aus und begab mich zum Advokaten Carrara, den ich im Haufe des Senators kennengelernt hatte. Ich fragte ihn, ob ich den Pfarrer gerichtlich belangen könnte, und er sagte mir, vor kurzer Zeit sei eine ganze Familie zugrunde gerichtet, weil einem [[glossary:slavonia|Slavonier]] der Schnurrbart abgeschnitten worden, und ein Bart sei doch viel weniger als eine ganze Kopffrisur. Wenn ich dem Pfarrer einen Prozeß anhängen wollte, bei dem ihm nicht wohl sein würde, so brauchte ich nur zu befehlen. Ich erklärte mich einverstanden und bat ihn, am Abend Herrn von Malipiero zu sagen, warum ich nicht kommen könnte; denn natürlich konnte ich mich nicht eher sehen lassen, als bis meine Haare wieder gewachsen waren.
  
 Ich ging nach Hause, um mit meinem Bruder eine Mahlzeit einzunehmen, die im Vergleich mit der Tafel des alten Senators sehr dürftig war. Die Entbehrung der seinen Kost, an die Seine Exzellenz mich gewöhnt hatte, war auch eine von den empfindlichsten Folgen, die der Racheakt des Pfarrers – der noch dazu mein Taufpate war – für mich zu bedeuten hatte. Ich weinte vor Verdruß bittere Tränen, und ich war um so verdrießlicher, da ich wohl fühlte, daß der mir angetane Schimpf etwas Komisches an sich hatte, das mich lächerlich machte; und dies entehrte mich in meinen Augen mehr als ein Verbrechen. Ich ging nach Hause, um mit meinem Bruder eine Mahlzeit einzunehmen, die im Vergleich mit der Tafel des alten Senators sehr dürftig war. Die Entbehrung der seinen Kost, an die Seine Exzellenz mich gewöhnt hatte, war auch eine von den empfindlichsten Folgen, die der Racheakt des Pfarrers – der noch dazu mein Taufpate war – für mich zu bedeuten hatte. Ich weinte vor Verdruß bittere Tränen, und ich war um so verdrießlicher, da ich wohl fühlte, daß der mir angetane Schimpf etwas Komisches an sich hatte, das mich lächerlich machte; und dies entehrte mich in meinen Augen mehr als ein Verbrechen.
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 Giulietta war achtzehn Iahre alt; ihre Haut war blendendweiß, aber der rosige Anhauch ihrer Wangen, das Purpurrot ihrer Lippen, die Schwärze und die schön gewölbte und sehr schmale Schwingung ihrer Augenbrauen schienen mir mehr das Werk der Kunst als der Natur zu sein. Ihre Zähne waren wie zwei Perlenreihen und so schön, daß man darüber vergaß, daß ihr Mund vielleicht etwas zu groß war. Sie schien immer zu lächeln; vielleicht war dies Natur, vielleicht Angewöhnung. Ihr mit einem leichten Schleier bedeckter Busen schien die Liebesgötter einzuladen; doch ich widerstand ihren Reizen. Ihre Armbänder und die Ringe, mit denen ihre Finger überladen waren, verhinderten mich nicht, ihre Hand zu groß und zu fleischig zu finden; und obgleich fie sorgfältig ihre Füße verbarg, so genügte doch ein verräterischer Pantoffel, der unter ihrem Rock hervorsah, um mir zu zeigen, daß sie im entsprechenden Verhältnis zu der Höhe ihres Wuchses standen; dieses aber ist ein unangenehmes Verhältnis, das nicht nur Chinesen und Spaniern, sondern überhaupt allen Männern von verfeinertem Geschmack mißfällt. Man verlangt von einer großen Frau, daß sie einen kleinen Fuß habe, und dieser Geschmack ist durchaus nicht neu, denn schon Herr Holofernes hatte ihn, der sonst Dame Iudith nicht so reizend gefunden haben würde: <q :la>et sandalia ejus rapuerunt oculos ejus</q>. Im großen und ganzen fand ich sie schön; aber nachdem ich alle Einzelheiten betrachtet hatte und ihre Schönheit mit den hunderttausend Dukaten verglich, die dafür bezahlt worden waren, fand ich zu meinem Erstaunen, daß ich völlig kühl blieb und nicht die geringste Versuchung fühlte, auch nur eine einzige Zechine auszugeben, um auch jene Reize sehen zu können, die ihre Kleider meinen Blicken verbargen. Giulietta war achtzehn Iahre alt; ihre Haut war blendendweiß, aber der rosige Anhauch ihrer Wangen, das Purpurrot ihrer Lippen, die Schwärze und die schön gewölbte und sehr schmale Schwingung ihrer Augenbrauen schienen mir mehr das Werk der Kunst als der Natur zu sein. Ihre Zähne waren wie zwei Perlenreihen und so schön, daß man darüber vergaß, daß ihr Mund vielleicht etwas zu groß war. Sie schien immer zu lächeln; vielleicht war dies Natur, vielleicht Angewöhnung. Ihr mit einem leichten Schleier bedeckter Busen schien die Liebesgötter einzuladen; doch ich widerstand ihren Reizen. Ihre Armbänder und die Ringe, mit denen ihre Finger überladen waren, verhinderten mich nicht, ihre Hand zu groß und zu fleischig zu finden; und obgleich fie sorgfältig ihre Füße verbarg, so genügte doch ein verräterischer Pantoffel, der unter ihrem Rock hervorsah, um mir zu zeigen, daß sie im entsprechenden Verhältnis zu der Höhe ihres Wuchses standen; dieses aber ist ein unangenehmes Verhältnis, das nicht nur Chinesen und Spaniern, sondern überhaupt allen Männern von verfeinertem Geschmack mißfällt. Man verlangt von einer großen Frau, daß sie einen kleinen Fuß habe, und dieser Geschmack ist durchaus nicht neu, denn schon Herr Holofernes hatte ihn, der sonst Dame Iudith nicht so reizend gefunden haben würde: <q :la>et sandalia ejus rapuerunt oculos ejus</q>. Im großen und ganzen fand ich sie schön; aber nachdem ich alle Einzelheiten betrachtet hatte und ihre Schönheit mit den hunderttausend Dukaten verglich, die dafür bezahlt worden waren, fand ich zu meinem Erstaunen, daß ich völlig kühl blieb und nicht die geringste Versuchung fühlte, auch nur eine einzige Zechine auszugeben, um auch jene Reize sehen zu können, die ihre Kleider meinen Blicken verbargen.
  
-Ich war kaum eine Viertelstunde da, als das Geräusch von Ruderschlägen vom Wasser her die Ankunft des verschwenderischen Marchese verkündigte. Wir standen auf, und Herr Querini verließ eilends seinen Platz, nicht ohne ein wenig dabei zu erröten. Herr von Sanvitali, schon ein älterer Herr, der größere Reisen gemacht hatte, setzte sich neben sie, aber nicht auf das Sofa; dadurch wurde die Schöne genötigt, sich umzudrehen. Nun konnte ich auch von vorne genau betrachten, was ich bis dahin nur von der Seite hatte sehen können. Nachdem ich noch vier oder fünf Besuche bei Giulietta gemacht hatte, glaubte ich mir über ihren Wert ein hinreißendes Urteil gebildet zu haben; ich sagte daher eines Abends, als man mich in der Gesellschaft des Senators Malipiero nach ihr fragte, sie könne nur Gourmands mit abgestumpften Geschmacksnerven gefallen; denn sie besitze weder die Schönheiten der einfachen Natur, noch den Geist der feinen Gesellschaft, sie habe kein besonderes Talent und keine gewandten Manieren ; es fehle ihr also alles, was Leute von gutem Ton bei einer Frau zu finden lieben. Mein Urteil gefiel der ganzen Gesellschaft, aber Herr von Malipiero sagte mir ins Ohr, Giulietta würde ganz sicherlich erfahren, was für ein Portrat ich von ihr entworfen hätte, und würde meine Feindin werden. Er hatte richtig geahnt.+Ich war kaum eine Viertelstunde da, als das Geräusch von [[glossary:gondola|Ruderschlägen]] vom Wasser her die Ankunft des verschwenderischen Marchese verkündigte. Wir standen auf, und Herr Querini verließ eilends seinen Platz, nicht ohne ein wenig dabei zu erröten. Herr von Sanvitali, schon ein älterer Herr, der größere Reisen gemacht hatte, setzte sich neben sie, aber nicht auf das Sofa; dadurch wurde die Schöne genötigt, sich umzudrehen. Nun konnte ich auch von vorne genau betrachten, was ich bis dahin nur von der Seite hatte sehen können. Nachdem ich noch vier oder fünf Besuche bei Giulietta gemacht hatte, glaubte ich mir über ihren Wert ein hinreißendes Urteil gebildet zu haben; ich sagte daher eines Abends, als man mich in der Gesellschaft des Senators Malipiero nach ihr fragte, sie könne nur Gourmands mit abgestumpften Geschmacksnerven gefallen; denn sie besitze weder die Schönheiten der einfachen Natur, noch den Geist der feinen Gesellschaft, sie habe kein besonderes Talent und keine gewandten Manieren ; es fehle ihr also alles, was Leute von gutem Ton bei einer Frau zu finden lieben. Mein Urteil gefiel der ganzen Gesellschaft, aber Herr von Malipiero sagte mir ins Ohr, Giulietta würde ganz sicherlich erfahren, was für ein Portrat ich von ihr entworfen hätte, und würde meine Feindin werden. Er hatte richtig geahnt.
  
 Es fiel mir an Giulietta besonders auf, daß sie nur selten das Wort an mich richtete und daß sie jedesmal, wenn sie mich ansah, sich ihrer Augengläser bediente oder ihre Lider zusammenkniff, wie wenn sie mich der Ehre hätte berauben wollen, ihre unbeschreibbar schönen Augen ganz zu sehen. Diese waren wunderbar schön geschnitten, kornblumenblau und hatten eine unbegreiflich leuchtende Iris, wie die Narur sie zuweilen nur der Jugend schenkt; für gewöhnlich verschwindet dieser Glanz etwa mit dem vierzigsten Jahr, nachdem er Wunder gewirkt hat. Der große Friedrich behielt diese leuchtenden Augen bis zu seinem Tode. Es fiel mir an Giulietta besonders auf, daß sie nur selten das Wort an mich richtete und daß sie jedesmal, wenn sie mich ansah, sich ihrer Augengläser bediente oder ihre Lider zusammenkniff, wie wenn sie mich der Ehre hätte berauben wollen, ihre unbeschreibbar schönen Augen ganz zu sehen. Diese waren wunderbar schön geschnitten, kornblumenblau und hatten eine unbegreiflich leuchtende Iris, wie die Narur sie zuweilen nur der Jugend schenkt; für gewöhnlich verschwindet dieser Glanz etwa mit dem vierzigsten Jahr, nachdem er Wunder gewirkt hat. Der große Friedrich behielt diese leuchtenden Augen bis zu seinem Tode.
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