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 Giulietta war achtzehn Iahre alt; ihre Haut war blendendweiß, aber der rosige Anhauch ihrer Wangen, das Purpurrot ihrer Lippen, die Schwärze und die schön gewölbte und sehr schmale Schwingung ihrer Augenbrauen schienen mir mehr das Werk der Kunst als der Natur zu sein. Ihre Zähne waren wie zwei Perlenreihen und so schön, daß man darüber vergaß, daß ihr Mund vielleicht etwas zu groß war. Sie schien immer zu lächeln; vielleicht war dies Natur, vielleicht Angewöhnung. Ihr mit einem leichten Schleier bedeckter Busen schien die Liebesgötter einzuladen; doch ich widerstand ihren Reizen. Ihre Armbänder und die Ringe, mit denen ihre Finger überladen waren, verhinderten mich nicht, ihre Hand zu groß und zu fleischig zu finden; und obgleich fie sorgfältig ihre Füße verbarg, so genügte doch ein verräterischer Pantoffel, der unter ihrem Rock hervorsah, um mir zu zeigen, daß sie im entsprechenden Verhältnis zu der Höhe ihres Wuchses standen; dieses aber ist ein unangenehmes Verhältnis, das nicht nur Chinesen und Spaniern, sondern überhaupt allen Männern von verfeinertem Geschmack mißfällt. Man verlangt von einer großen Frau, daß sie einen kleinen Fuß habe, und dieser Geschmack ist durchaus nicht neu, denn schon Herr Holofernes hatte ihn, der sonst Dame Iudith nicht so reizend gefunden haben würde: <q :la>et sandalia ejus rapuerunt oculos ejus</q>. Im großen und ganzen fand ich sie schön; aber nachdem ich alle Einzelheiten betrachtet hatte und ihre Schönheit mit den hunderttausend Dukaten verglich, die dafür bezahlt worden waren, fand ich zu meinem Erstaunen, daß ich völlig kühl blieb und nicht die geringste Versuchung fühlte, auch nur eine einzige Zechine auszugeben, um auch jene Reize sehen zu können, die ihre Kleider meinen Blicken verbargen. Giulietta war achtzehn Iahre alt; ihre Haut war blendendweiß, aber der rosige Anhauch ihrer Wangen, das Purpurrot ihrer Lippen, die Schwärze und die schön gewölbte und sehr schmale Schwingung ihrer Augenbrauen schienen mir mehr das Werk der Kunst als der Natur zu sein. Ihre Zähne waren wie zwei Perlenreihen und so schön, daß man darüber vergaß, daß ihr Mund vielleicht etwas zu groß war. Sie schien immer zu lächeln; vielleicht war dies Natur, vielleicht Angewöhnung. Ihr mit einem leichten Schleier bedeckter Busen schien die Liebesgötter einzuladen; doch ich widerstand ihren Reizen. Ihre Armbänder und die Ringe, mit denen ihre Finger überladen waren, verhinderten mich nicht, ihre Hand zu groß und zu fleischig zu finden; und obgleich fie sorgfältig ihre Füße verbarg, so genügte doch ein verräterischer Pantoffel, der unter ihrem Rock hervorsah, um mir zu zeigen, daß sie im entsprechenden Verhältnis zu der Höhe ihres Wuchses standen; dieses aber ist ein unangenehmes Verhältnis, das nicht nur Chinesen und Spaniern, sondern überhaupt allen Männern von verfeinertem Geschmack mißfällt. Man verlangt von einer großen Frau, daß sie einen kleinen Fuß habe, und dieser Geschmack ist durchaus nicht neu, denn schon Herr Holofernes hatte ihn, der sonst Dame Iudith nicht so reizend gefunden haben würde: <q :la>et sandalia ejus rapuerunt oculos ejus</q>. Im großen und ganzen fand ich sie schön; aber nachdem ich alle Einzelheiten betrachtet hatte und ihre Schönheit mit den hunderttausend Dukaten verglich, die dafür bezahlt worden waren, fand ich zu meinem Erstaunen, daß ich völlig kühl blieb und nicht die geringste Versuchung fühlte, auch nur eine einzige Zechine auszugeben, um auch jene Reize sehen zu können, die ihre Kleider meinen Blicken verbargen.
  
-Ich war kaum eine Viertelstunde da, als das Geräusch von Ruderschlägen vom Wasser her die Ankunft des verschwenderischen Marchese verkündigte. Wir standen auf, und Herr Querini verließ eilends seinen Platz, nicht ohne ein wenig dabei zu erröten. Herr von Sanvitali, schon ein älterer Herr, der größere Reisen gemacht hatte, setzte sich neben sie, aber nicht auf das Sofa; dadurch wurde die Schöne genötigt, sich umzudrehen. Nun konnte ich auch von vorne genau betrachten, was ich bis dahin nur von der Seite hatte sehen können. Nachdem ich noch vier oder fünf Besuche bei Giulietta gemacht hatte, glaubte ich mir über ihren Wert ein hinreißendes Urteil gebildet zu haben; ich sagte daher eines Abends, als man mich in der Gesellschaft des Senators Malipiero nach ihr fragte, sie könne nur Gourmands mit abgestumpften Geschmacksnerven gefallen; denn sie besitze weder die Schönheiten der einfachen Natur, noch den Geist der feinen Gesellschaft, sie habe kein besonderes Talent und keine gewandten Manieren ; es fehle ihr also alles, was Leute von gutem Ton bei einer Frau zu finden lieben. Mein Urteil gefiel der ganzen Gesellschaft, aber Herr von Malipiero sagte mir ins Ohr, Giulietta würde ganz sicherlich erfahren, was für ein Portrat ich von ihr entworfen hätte, und würde meine Feindin werden. Er hatte richtig geahnt.+Ich war kaum eine Viertelstunde da, als das Geräusch von [[glossary:gondola|Ruderschlägen]] vom Wasser her die Ankunft des verschwenderischen Marchese verkündigte. Wir standen auf, und Herr Querini verließ eilends seinen Platz, nicht ohne ein wenig dabei zu erröten. Herr von Sanvitali, schon ein älterer Herr, der größere Reisen gemacht hatte, setzte sich neben sie, aber nicht auf das Sofa; dadurch wurde die Schöne genötigt, sich umzudrehen. Nun konnte ich auch von vorne genau betrachten, was ich bis dahin nur von der Seite hatte sehen können. Nachdem ich noch vier oder fünf Besuche bei Giulietta gemacht hatte, glaubte ich mir über ihren Wert ein hinreißendes Urteil gebildet zu haben; ich sagte daher eines Abends, als man mich in der Gesellschaft des Senators Malipiero nach ihr fragte, sie könne nur Gourmands mit abgestumpften Geschmacksnerven gefallen; denn sie besitze weder die Schönheiten der einfachen Natur, noch den Geist der feinen Gesellschaft, sie habe kein besonderes Talent und keine gewandten Manieren ; es fehle ihr also alles, was Leute von gutem Ton bei einer Frau zu finden lieben. Mein Urteil gefiel der ganzen Gesellschaft, aber Herr von Malipiero sagte mir ins Ohr, Giulietta würde ganz sicherlich erfahren, was für ein Portrat ich von ihr entworfen hätte, und würde meine Feindin werden. Er hatte richtig geahnt.
  
 Es fiel mir an Giulietta besonders auf, daß sie nur selten das Wort an mich richtete und daß sie jedesmal, wenn sie mich ansah, sich ihrer Augengläser bediente oder ihre Lider zusammenkniff, wie wenn sie mich der Ehre hätte berauben wollen, ihre unbeschreibbar schönen Augen ganz zu sehen. Diese waren wunderbar schön geschnitten, kornblumenblau und hatten eine unbegreiflich leuchtende Iris, wie die Narur sie zuweilen nur der Jugend schenkt; für gewöhnlich verschwindet dieser Glanz etwa mit dem vierzigsten Jahr, nachdem er Wunder gewirkt hat. Der große Friedrich behielt diese leuchtenden Augen bis zu seinem Tode. Es fiel mir an Giulietta besonders auf, daß sie nur selten das Wort an mich richtete und daß sie jedesmal, wenn sie mich ansah, sich ihrer Augengläser bediente oder ihre Lider zusammenkniff, wie wenn sie mich der Ehre hätte berauben wollen, ihre unbeschreibbar schönen Augen ganz zu sehen. Diese waren wunderbar schön geschnitten, kornblumenblau und hatten eine unbegreiflich leuchtende Iris, wie die Narur sie zuweilen nur der Jugend schenkt; für gewöhnlich verschwindet dieser Glanz etwa mit dem vierzigsten Jahr, nachdem er Wunder gewirkt hat. Der große Friedrich behielt diese leuchtenden Augen bis zu seinem Tode.
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