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 Doch kommen wir jetzt zum Beginn meiner Existenz als denkendes Wesen. Doch kommen wir jetzt zum Beginn meiner Existenz als denkendes Wesen.
-Das Organ des Gedächtnisses entwickelte sich bei mir Anfang August 1733; ich war also damals acht Jahre und vier Monate alt. Ich habe nicht die geringste Erinnerung an Ereignisse, die vor dieser Zeit liegen. Meine erste Erinnerung betrifft folgendes:+Das Organ des Gedächtnisses entwickelte sich bei mir Anfang August [[glossary:1733|1733]]; ich war also damals acht Jahre und vier Monate alt. Ich habe nicht die geringste Erinnerung an Ereignisse, die vor dieser Zeit liegen. Meine erste Erinnerung betrifft folgendes:
  
 Ich stand in der Ecke eines Zimmers gegen die Wand gebeugt; meinen Kopf hielt ich in den Händen und blickte unverwandt auf das Blut, das mir in Strömen aus der Nase floß und auf die Erde rieselte. Ich stand in der Ecke eines Zimmers gegen die Wand gebeugt; meinen Kopf hielt ich in den Händen und blickte unverwandt auf das Blut, das mir in Strömen aus der Nase floß und auf die Erde rieselte.
-Meine Großmutter Marzia, deren Liebling ich war, kam zu mir heran, wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser, ließ mich, ohne daß im Hause jemand etwas davon merkte, mit sich in eine Gondel steigen und führte mich nach der sehr volkreichen Insel Murano, die nur eine halbe Meile von Venedig liegt.+Meine Großmutter Marzia, deren Liebling ich war, kam zu mir heran, wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser, ließ mich, ohne daß im Hause jemand etwas davon merkte, mit sich in eine [[glossary:gondola|Gondel]] steigen und führte mich nach der sehr volkreichen Insel Murano, die nur eine halbe Meile von Venedig liegt.
  
-Hier stiegen wir aus und gingen in eine Spelunke, wo wir ein altes Weib fanden, das mit einem schwarzen Kater in den Armen auf einem schmutzigen Bett saß und noch fünf oder sechs Katzen um sich hatte. Es war eine Hexe. Die beiden alten Frauen hatten ein langes Gespräch miteinander, das wahrscheinlich mich betraf. Zum Schluß dieser Zwiesprach, die in Friauler Mundart abgehalten wurde, bekam die alte Hexe von meiner Großmutter einen Silberdukaten. Sie öffnete eine Kiste, nahm mich auf die Arme, legte mich hinein und schloß den Deckel, indem sie mir sagte, ich solle keine Angst haben. Diese Bemerkung wäre nun gerade genug gewesen, um mir Angst zu machen, wenn ich überhaupt irgendwelche Denkkraft besessen hätte; aber ich war ganz betäubt. Ich lag ruhig in einer Ecke zusammengekauert, hielt mir das Taschentuch unter die Nase, weil ich immer noch blutete, und kümmerte mich übrigens nicht im geringsten um den Lärm, den ich draußen machen hörte. Ich hörte abwechselnd lachen, weinen, singen, schreien und an die Kiste klopfen; mir war das alles gleichgültig. Endlich holen sie mich aus der Kiste hervor, mein Blut ist gestillt. Das sonderbare Weib macht mir hundert Liebkosungen, entkleidet mich, legt mich auf das Bett, verbrennt Kräuter, fängt den Rauch davon mit einem Tuch auf, wickelt mich in dieses ein, macht Beschwörungen, wickelt mich darauf wieder aus und gibt mir fünf sehr angenehm schmeckende Zuckerplätzchen. Gleich darauf reibt sie mir Schläfen und Nacken mit einer lieblich duftenden Salbe ein und dann kleidet sie mich wieder an. Sie sagte mir, meine Blutungen würden ganz allmählich aufhören; nur dürfte ich niemandem erzählen, was sie gemacht hätte, um mich zu heilen; sie drohte mir, ich würde all mein Blut verlieren und sterben, wenn ich es wagte, zu irgendeinem Menschen von ihren Geheimnissen zu sprechen. Nachdem sie mir dies alles eingeprägt hatte, sagte sie noch, eine reizende Dame würde mir nächste Nacht einen Besuch machen und von dieser würde mein Glück abhängen, wenn ich nur soviel Willenskraft hätte, niemandem von diesem Besuch zu erzählen. Hierauf nahmen wir Abschied und kehrten nach Hause zurück.+Hier stiegen wir aus und gingen in eine Spelunke, wo wir ein altes Weib fanden, das mit einem schwarzen Kater in den Armen auf einem schmutzigen Bett saß und noch fünf oder sechs Katzen um sich hatte. Es war eine [[glossary:witchcraft|Hexe]]. Die beiden alten Frauen hatten ein langes Gespräch miteinander, das wahrscheinlich mich betraf. Zum Schluß dieser Zwiesprach, die in [[glossary:friulan_language|Friauler Mundart]] abgehalten wurde, bekam die alte Hexe von meiner Großmutter einen [[glossary:money#silver_ducat|Silberdukaten]]. Sie öffnete eine Kiste, nahm mich auf die Arme, legte mich hinein und schloß den Deckel, indem sie mir sagte, ich solle keine Angst haben. Diese Bemerkung wäre nun gerade genug gewesen, um mir Angst zu machen, wenn ich überhaupt irgendwelche Denkkraft besessen hätte; aber ich war ganz betäubt. Ich lag ruhig in einer Ecke zusammengekauert, hielt mir das Taschentuch unter die Nase, weil ich immer noch blutete, und kümmerte mich übrigens nicht im geringsten um den Lärm, den ich draußen machen hörte. Ich hörte abwechselnd lachen, weinen, singen, schreien und an die Kiste klopfen; mir war das alles gleichgültig. Endlich holen sie mich aus der Kiste hervor, mein Blut ist gestillt. Das sonderbare Weib macht mir hundert Liebkosungen, entkleidet mich, legt mich auf das Bett, verbrennt Kräuter, fängt den Rauch davon mit einem Tuch auf, wickelt mich in dieses ein, macht Beschwörungen, wickelt mich darauf wieder aus und gibt mir fünf sehr angenehm schmeckende Zuckerplätzchen. Gleich darauf reibt sie mir Schläfen und Nacken mit einer lieblich duftenden Salbe ein und dann kleidet sie mich wieder an. Sie sagte mir, meine Blutungen würden ganz allmählich aufhören; nur dürfte ich niemandem erzählen, was sie gemacht hätte, um mich zu heilen; sie drohte mir, ich würde all mein Blut verlieren und sterben, wenn ich es wagte, zu irgendeinem Menschen von ihren Geheimnissen zu sprechen. Nachdem sie mir dies alles eingeprägt hatte, sagte sie noch, eine reizende Dame würde mir nächste Nacht einen Besuch machen und von dieser würde mein Glück abhängen, wenn ich nur soviel Willenskraft hätte, niemandem von diesem Besuch zu erzählen. Hierauf nahmen wir Abschied und kehrten nach Hause zurück.
  
 Kaum lag ich im Bett, so schlief ich ein, ohne wieder an den schönen Besuch zu denken, der mir bevorstand; aber als ich einige Stunden später auswachte, sah ich – oder glaubte wenigstens sie zu sehen – eine blendend schöne Frau, die aus dem Kamin kam. Sie war im Reifrock, trug ein prachtvolles Kleid und hatte auf dem Kopf eine mit Edelsteinen besetzte Krone, von der – wie es mir vorkam – Funken sprühten. Sie kam langsamen Schrittes mit majestätischer und sanfter Miene auf mein Bett zu und setzte sich auf dieses; dann zog sie aus ihrer Tasche kleine Büchschen, die sie über meinen Kopf ausleerte, wobei sie Worte flüsterte. Nachdem sie mir eine lange Ansprache gebalten hatte, von der ich nichts verstand, küßte sie mich und verschwand auf demselben Wege, auf dem sie gekommen war. Hierauf schlief ich wieder ein. Kaum lag ich im Bett, so schlief ich ein, ohne wieder an den schönen Besuch zu denken, der mir bevorstand; aber als ich einige Stunden später auswachte, sah ich – oder glaubte wenigstens sie zu sehen – eine blendend schöne Frau, die aus dem Kamin kam. Sie war im Reifrock, trug ein prachtvolles Kleid und hatte auf dem Kopf eine mit Edelsteinen besetzte Krone, von der – wie es mir vorkam – Funken sprühten. Sie kam langsamen Schrittes mit majestätischer und sanfter Miene auf mein Bett zu und setzte sich auf dieses; dann zog sie aus ihrer Tasche kleine Büchschen, die sie über meinen Kopf ausleerte, wobei sie Worte flüsterte. Nachdem sie mir eine lange Ansprache gebalten hatte, von der ich nichts verstand, küßte sie mich und verschwand auf demselben Wege, auf dem sie gekommen war. Hierauf schlief ich wieder ein.
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 Als ich in einer Generalbeichte mich dieser Sünde mit allen Nebenumständen anklagte, erhielt ich eine Belehrung, die mir Spaß machte. Mein Beichtvater, ein Jesuit, sagte mir, da ich Giacomo heiße, so hätte ich mit dieser Tat der Bedeutung meines Namens entsprechend gehandelt. Denn im Hebräischen bedeutet Jakob Verdränger. Deshalb gab Gott dem Patriarchen für seinen alten Namen den neuen Israel, das heißt: Der Sehende. Er hatte seinen Bruder Esau hintergangen. Als ich in einer Generalbeichte mich dieser Sünde mit allen Nebenumständen anklagte, erhielt ich eine Belehrung, die mir Spaß machte. Mein Beichtvater, ein Jesuit, sagte mir, da ich Giacomo heiße, so hätte ich mit dieser Tat der Bedeutung meines Namens entsprechend gehandelt. Denn im Hebräischen bedeutet Jakob Verdränger. Deshalb gab Gott dem Patriarchen für seinen alten Namen den neuen Israel, das heißt: Der Sehende. Er hatte seinen Bruder Esau hintergangen.
  
-Sechs Wochen nach diesem Vorfall bekam mein Vater im Innern des Kopfes ein Geschwür, das ihn binnen acht Tagen ins Grab brachte. Der Arzt Zambelli gab dem Kranken zunächst verstopfende Heilmittel und glaubte dann diese Dummheit mit der Verabreichung von Bibergeil wieder gutzumachen. Mein Vater starb infolgedessen an Krämpfen. Eine Minute nach seinem Tode barst das Geschwür und floß durchs Ohr ab; es entfernte sich, nachdem es ihn getötet hatte, wie wenn es nun nichts mehr bei ihm zu tun hätte.+Sechs Wochen nach diesem Vorfall bekam mein Vater im Innern des Kopfes ein Geschwür, das ihn binnen acht Tagen ins Grab brachte. Der [[glossary:physician|Arzt]] Zambelli gab dem Kranken zunächst verstopfende Heilmittel und glaubte dann diese Dummheit mit der Verabreichung von [[glossary:castoreum|Bibergeil]] wieder gutzumachen. Mein Vater starb infolgedessen an Krämpfen. Eine Minute nach seinem Tode barst das Geschwür und floß durchs Ohr ab; es entfernte sich, nachdem es ihn getötet hatte, wie wenn es nun nichts mehr bei ihm zu tun hätte.
 Mein Vater schied im blühendsten Alter aus dem Leben; er zählte nur 36 Jahre. In sein Grab folgte ihm das Bedauern des Publikums, besonders des Adels, der in ihm einen Mann achtete, der sich durch seine Lebensführung wie durch seine Kenntnisse in der Mechanik über seinen Stand erhob. Mein Vater schied im blühendsten Alter aus dem Leben; er zählte nur 36 Jahre. In sein Grab folgte ihm das Bedauern des Publikums, besonders des Adels, der in ihm einen Mann achtete, der sich durch seine Lebensführung wie durch seine Kenntnisse in der Mechanik über seinen Stand erhob.
-Zwei Tage vor seinen Tode fühlte mein Vater sein Ende nahen; er ließ seine Frau und uns alle an sein Bett kommen und bat die edlen Herren Grimani, unsere Beschützer zu werden.+Zwei Tage vor seinen Tode fühlte mein Vater sein Ende nahen; er ließ seine Frau und uns alle an sein Bett kommen und bat die edlen Herren [[glossary:Grimani|Grimani]], unsere Beschützer zu werden.
  
 Nachdem er uns seinen Segen gegeben hatte, verlangte er von meiner in Tränen zerfließenden Mutter, daß sie ihm schwöre, keins von seinen Kindern für die Bühne zu erziehen, die er selber niemals würde betreten haben, wenn ihn nicht eine unglückliche Leidenschaft dazu gezwungen hätte. Sie tat den Schwur, und die drei Patrizier bürgten für dessen Unverletzlichkeit. Die Umstände halfen ihr, dieses Versprechen halten zu können. Nachdem er uns seinen Segen gegeben hatte, verlangte er von meiner in Tränen zerfließenden Mutter, daß sie ihm schwöre, keins von seinen Kindern für die Bühne zu erziehen, die er selber niemals würde betreten haben, wenn ihn nicht eine unglückliche Leidenschaft dazu gezwungen hätte. Sie tat den Schwur, und die drei Patrizier bürgten für dessen Unverletzlichkeit. Die Umstände halfen ihr, dieses Versprechen halten zu können.
  
 Da meine Mutter damals im sechsten Monat schwanger war, wurde sie bis nach Ostern vom Auftreten befreit. Schön und jung wie sie war, schlug sie alle Heiratsanträge aus; auf die Vorsehung vertrauend, hoffte sie selber imstande zu sein, uns großzuziehen. Da meine Mutter damals im sechsten Monat schwanger war, wurde sie bis nach Ostern vom Auftreten befreit. Schön und jung wie sie war, schlug sie alle Heiratsanträge aus; auf die Vorsehung vertrauend, hoffte sie selber imstande zu sein, uns großzuziehen.
-Zunächst glaubte sie sich mit mir beschäftigen zu sollen; nicht so sehr aus besonderer Vorliebe für mich als wegen meiner Krankheit, die mich in einen solchen Zustand versetzte, daß man nicht mehr wußte, was man mit mir anfangen sollte. Ich war sehr schwach, hatte keinen Appetit, war zu keiner Anstrengung fähig und sah aus wie ein Blödsinniger. Die Arzte stritten sich um die Ursache meines Leidens. Er verliert, sagten sie, wöchentlich zwei Pfund Blut, während er doch im ganzen nur sechzehn bis achtzehn haben kann. Woher kann also eine so überreichliche Abgabe von Blut kommen? Der eine sagte, mein ganzer Speisesaft verwandle sich in Blut, der andere behauptete, die von mir eingeatmete Luft müsse bei jedem Atemzuge die Menge des in meinen Lungen vorhandenen Blutes vermehren und darum hielte ich fortwährend den Mund offen. Dies wurde mir sechs Jahre später von Herrn Baffo, einem vertrauten Freunde meines seligen Vaters, erzählt.+Zunächst glaubte sie sich mit mir beschäftigen zu sollen; nicht so sehr aus besonderer Vorliebe für mich als wegen meiner Krankheit, die mich in einen solchen Zustand versetzte, daß man nicht mehr wußte, was man mit mir anfangen sollte. Ich war sehr schwach, hatte keinen Appetit, war zu keiner Anstrengung fähig und sah aus wie ein Blödsinniger. Die Arzte stritten sich um die Ursache meines Leidens. Er verliert, sagten sie, wöchentlich zwei Pfund Blut, während er doch im ganzen nur sechzehn bis achtzehn haben kann. Woher kann also eine so überreichliche Abgabe von Blut kommen? Der eine sagte, mein ganzer [[glossary:chyle|Speisesaft]] verwandle sich in Blut, der andere behauptete, die von mir eingeatmete Luft müsse bei jedem Atemzuge die Menge des in meinen Lungen vorhandenen Blutes vermehren und darum hielte ich fortwährend den Mund offen. Dies wurde mir sechs Jahre später von Herrn [[glossary:Baffo|Baffo]], einem vertrauten Freunde meines seligen Vaters, erzählt.
  
 Baffo konsultierte schließlich in Padua den berühmten Arzt Macopo, der ihm seine Meinung schriftlich mitteilte. In diesem Gutachten, das ich aufbewahrt habe, heißt es, unser Blut sei eine dehnbare Flüssigkeit, die an Dicke, niemals aber an Menge sich vermindern oder vermehren könne; meine Blutungen könnten nur davon herrühren, daß die Blutmenge zu dick sei. Sie mache sich auf natürlichem Wege Luft, um den Umlauf zu erleichtern. Er sagte, ich würde bereits gestorben sein, wenn nicht die Natur, die leben will, sich selber geholfen hätte. Er kam zu dem Schluß: da die Ursache dieser Dicke nur in der von mir eingeatmeten Luft gesucht werden könne, so müsse man mir Luftveränderung verschaffen oder sich darauf gefaßt machen, mich zu verlieren. Nach seiner Meinung war ferner an dem dummen Ausdruck, den meine Züge trugen, ebenfalls nur die Dicke meines Blutes schuld. Baffo konsultierte schließlich in Padua den berühmten Arzt Macopo, der ihm seine Meinung schriftlich mitteilte. In diesem Gutachten, das ich aufbewahrt habe, heißt es, unser Blut sei eine dehnbare Flüssigkeit, die an Dicke, niemals aber an Menge sich vermindern oder vermehren könne; meine Blutungen könnten nur davon herrühren, daß die Blutmenge zu dick sei. Sie mache sich auf natürlichem Wege Luft, um den Umlauf zu erleichtern. Er sagte, ich würde bereits gestorben sein, wenn nicht die Natur, die leben will, sich selber geholfen hätte. Er kam zu dem Schluß: da die Ursache dieser Dicke nur in der von mir eingeatmeten Luft gesucht werden könne, so müsse man mir Luftveränderung verschaffen oder sich darauf gefaßt machen, mich zu verlieren. Nach seiner Meinung war ferner an dem dummen Ausdruck, den meine Züge trugen, ebenfalls nur die Dicke meines Blutes schuld.
  
-Dieser Herr Baffo, ein erhabener Geist und ein Poet, der sich nur in Gedichten der schlüpfrigsten Art versuchte, in dieser aber groß und einzig war – Baffo also veranlaßte, daß meine Familie sich entschloß, mich nach Padua in Pension zu geben; folglich verdanke ich ihm mein Leben. Er ist zwanzig Jahre später gestorben, der letzte seiner alten patrizischen Familie; aber seine Gedichte, sind sie gleich schmutzig, werden seinen Namen niemals untergehen lassen. Die venezianischen Staatsinquisitoren werden aus einer gewissen Pietät zu seinem Ruhme beigetragen haben; denn indem sie seine in Abschriften umlaufenden Werke verfolgten, machten sie sie kostbar; sie hätten wissen müssen, daß <q :la>spreta exolescunt ((was nicht beachtet wird, fällt der Vergessenheit anheim))</q>.+Dieser Herr Baffo, ein erhabener Geist und ein Poet, der sich nur in Gedichten der schlüpfrigsten Art versuchte, in dieser aber groß und einzig war – Baffo also veranlaßte, daß meine Familie sich entschloß, mich nach [[glossary:Padua|Padua]] in Pension zu geben; folglich verdanke ich ihm mein Leben. Er ist zwanzig Jahre später gestorben, der letzte seiner alten patrizischen Familie; aber seine Gedichte, sind sie gleich schmutzig, werden seinen Namen niemals untergehen lassen. Die venezianischen [[glossary:state_inquisitors|Staatsinquisitoren]] werden aus einer gewissen Pietät zu seinem Ruhme beigetragen haben; denn indem sie seine in Abschriften umlaufenden Werke verfolgten, machten sie sie kostbar; sie hätten wissen müssen, daß <q :la>spreta exolescunt ((was nicht beachtet wird, fällt der Vergessenheit anheim))</q>.
  
-Sobald der Orakelspruch des Professors Macopo als zutreffend erachtet war, übernahm es Herr Abbate Grimani, mit Hilfe eines in Padua wohnenden ihm bekannten Chemikers, für mich eine gute Pension zu finden. Er hieß Ottaviani und war zugleich auch Antiquar. In ein paar Tagen war die Pension gefunden und an meinem neunten Geburtstag, den 2. April 1734 brachte man mich in einem <span :it>Burchiello</span> auf dem Brentakanal nach Padua.+Sobald der Orakelspruch des Professors Macopo als zutreffend erachtet war, übernahm es Herr Abbate Grimani, mit Hilfe eines in Padua wohnenden ihm bekannten Chemikers, für mich eine gute Pension zu finden. Er hieß Ottaviani und war zugleich auch Antiquar. In ein paar Tagen war die Pension gefunden und an meinem neunten Geburtstag, den 2. April [[glossary:1734|1734]] brachte man mich in einem <span :it>Burchiello</span> auf dem [[glossary:brenta|Brentakanal]] nach Padua.
  
 Der <span :it>Burchiello</span> kann für ein kleines schwimmendes Haus gelten. Es befindet sich darauf ein Saal mit einem Kabinett am oberen und unteren Ende, und für die Dienerschaft ist Unterkunft am Bug und am Stern des Fahrzeugs vorhanden; die Form des Saales ist ein Rechteck; er ist mit Glasfenstern und Holzläden versehen, und darüber befindet sich noch ein Sitzdeck. Die Dauer der Reise beträgt acht Stunden. Abbate Grimani, Herr Baffo und meine Mutter begleiteten mich; ich schlief mit meiner Mutter im Saal und die beiden Freunde verbrachten die Nacht in einem der beiden Kabinette. Der <span :it>Burchiello</span> kann für ein kleines schwimmendes Haus gelten. Es befindet sich darauf ein Saal mit einem Kabinett am oberen und unteren Ende, und für die Dienerschaft ist Unterkunft am Bug und am Stern des Fahrzeugs vorhanden; die Form des Saales ist ein Rechteck; er ist mit Glasfenstern und Holzläden versehen, und darüber befindet sich noch ein Sitzdeck. Die Dauer der Reise beträgt acht Stunden. Abbate Grimani, Herr Baffo und meine Mutter begleiteten mich; ich schlief mit meiner Mutter im Saal und die beiden Freunde verbrachten die Nacht in einem der beiden Kabinette.
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 Meine Mutter fragte ihn überrascht, ob er toll wäre, daß er nur solche Ratschläge gäbe; der Philosoph antwortete ihr gar nicht, sondern fuhr fort, mir in Umrissen eine Erklärung zu geben, wie sie meiner einfachen und reinen Vernunft angemessen war. Es war das erstemal in meinem Leben, daß ich eine wirkliche Freude kostete! Wäre Herr Baffo nicht gewesen, so hätte dieser Augenblick genügt, meine Erkenntnis zu erniedrigen; denn die Feigheit der Leichtgläubigkeit würde sich hineingeschlichen haben. Ganz bestimmt hätte die Unwissenheit der beiden anderen die Schärfe meiner Denkfähigkeit abgestumpft. Ob ich es in dieser Fähigkeit sehr weit gebracht habe, weiß ich nicht, das aber weiß ich, daß ich ihr allein alles Glück verdanke, dessen ich genieße, wenn ich mich mit mir allein befinde. Meine Mutter fragte ihn überrascht, ob er toll wäre, daß er nur solche Ratschläge gäbe; der Philosoph antwortete ihr gar nicht, sondern fuhr fort, mir in Umrissen eine Erklärung zu geben, wie sie meiner einfachen und reinen Vernunft angemessen war. Es war das erstemal in meinem Leben, daß ich eine wirkliche Freude kostete! Wäre Herr Baffo nicht gewesen, so hätte dieser Augenblick genügt, meine Erkenntnis zu erniedrigen; denn die Feigheit der Leichtgläubigkeit würde sich hineingeschlichen haben. Ganz bestimmt hätte die Unwissenheit der beiden anderen die Schärfe meiner Denkfähigkeit abgestumpft. Ob ich es in dieser Fähigkeit sehr weit gebracht habe, weiß ich nicht, das aber weiß ich, daß ich ihr allein alles Glück verdanke, dessen ich genieße, wenn ich mich mit mir allein befinde.
  
-Wir kamen bei guter Zeit in Padua an und gingen zu Ottaviani, dessen Frau mich mit Liebkosungen überhäufte. Ich sah in ihrem Hause fünf oder sechs Kinder, unter ihnen ein achtjähriges Mädchen, namens Maria, und ein anderes siebenjähriges, namens Rosa, hübsch wie ein Engel. Zehn Jahre später wurde Maria die Frau des Maklers Colonda, und einige Jahre darauf wurde Rosa an den Patrizier Pietro Marcello verheiratet, dem sie einen Sohn und zwei Töchter schenkte; von diesen wurde die eine die Gattin des Herrn Pietro Mocenigo; die andere heiratete einen Nobile aus der Familie Carraro; doch wurde diese Ehe später für nichtig erklärt. Ich werde von allen diesen Personen zu sprechen haben, darum erwähne ich sie hier.+Wir kamen bei guter Zeit in Padua an und gingen zu [[glossary:Ottaviani|Ottaviani]], dessen Frau mich mit Liebkosungen überhäufte. Ich sah in ihrem Hause fünf oder sechs Kinder, unter ihnen ein achtjähriges Mädchen, namens Maria, und ein anderes siebenjähriges, namens Rosa, hübsch wie ein Engel. Zehn Jahre später wurde Maria die Frau des Maklers Colonda, und einige Jahre darauf wurde Rosa an den Patrizier Pietro Marcello verheiratet, dem sie einen Sohn und zwei Töchter schenkte; von diesen wurde die eine die Gattin des Herrn Pietro Mocenigo; die andere heiratete einen Nobile aus der Familie Carraro; doch wurde diese Ehe später für nichtig erklärt. Ich werde von allen diesen Personen zu sprechen haben, darum erwähne ich sie hier.
 Ottaviani führte uns sofort nach dem Hause, wo ich in Kost gegeben werden sollte. Ottaviani führte uns sofort nach dem Hause, wo ich in Kost gegeben werden sollte.
  
-Es lag nur fünfzig Schritt von dem seinigen entfernt, in Santa Maria da Banzo, Gemeinde San Michele, und gehörte einer alten Slavonierin, die den ersten Stock an Signora Mida, die Frau eines slavonischen Obersten, vermietet hatte. Man öffnete vor ihr mein Köfferchen und gab ihr ein Verzeichnis des gesamten Inhalts; hierauf zählte man ihr sechs Zechinen auf, womit Kost und Wohnung für mich auf ein halbes Jahr bezahlt waren. Für diese geringe Summe sollte sie mich beköstigen, meine Wäsche sauber halten und mir Schulunterricht geben lassen. Man ließ sie reden, es sei nicht genug; man umarmte mich, befahl mir, immer ihren Befehlen recht artig nachzukommen, und ließ mich in dem Hause. So entledigte man sich meiner.+Es lag nur fünfzig Schritt von dem seinigen entfernt, in Santa Maria da Banzo, Gemeinde San Michele, und gehörte einer alten [[glossary:slavonia|Slavonierin]], die den ersten Stock an Signora Mida, die Frau eines slavonischen Obersten, vermietet hatte. Man öffnete vor ihr mein Köfferchen und gab ihr ein Verzeichnis des gesamten Inhalts; hierauf zählte man ihr sechs [[glossary:money#sequin|Zechinen]] auf, womit Kost und Wohnung für mich auf ein halbes Jahr bezahlt waren. Für diese geringe Summe sollte sie mich beköstigen, meine Wäsche sauber halten und mir Schulunterricht geben lassen. Man ließ sie reden, es sei nicht genug; man umarmte mich, befahl mir, immer ihren Befehlen recht artig nachzukommen, und ließ mich in dem Hause. So entledigte man sich meiner.
  
  
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